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Sadhu Sundar Singh: über das richtige Beten

 

 

Sundar Singh (* 1888 in Rampur, Patiala, † unbekannt) war ein indischer Christ, der nach der Art eines Sadhu [wörtl.: „Guter oder auch: Heiliger Mann“] umherzog. Er stammte aus wohlhaben­der Familie. Sein Vater war Sikh, seine Mutter Hindu. Nachdem er in einer Missionsschule mit dem Christentum in Berührung kam, wandte er sich zuerst in Feindschaft ab. Nach einer von ihm be­schriebenen Vision wurde er jedoch Christ und brach damit mit seiner Familie, die ihn verstieß.

Seine Hauptaufgabe sah er darin, durch die Dörfer zu ziehen und Jesus Christus zu verkünden. Viele Inder wurden durch ihn Christen, und er faszinierte Landsleute ebenso wie Christen aus dem Westen. Mehrere Mordversuche überlebte er nur knapp. Immer wieder reiste er in den Hi­malaya. Nach einer Vortragsreise in Südindien wurde er ins Ausland eingeladen. 1929 trat er eine erneute Reise nach Tibet an, kam aber dort nicht an. Verschiedene Suchexpeditionen blieben ohne Erfolg. Man nimmt an, daß er entweder ei­nem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel oder an Cholera starb.

Auch über 70 Jahre nach seinem Verschwinden bleibt Sadhu Sundar Singh einer der einfluß­reichsten indischen Christen des 20. Jahrhunderts, da er mit seinem Leben bewies, daß das Chris­tentum keine rein westliche, mit der indischen Kultur nicht kompatible Religion ist.

(nach Wikipedia)

 

 

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Das Wesen des Gebets besteht nicht darin, daß wir etwas von Gott begehren,

sondern daß wir unsere Herzen Gott öffnen, mit ihm reden und mit ihm in

ständigem Umgang leben. Das Gebet ist ständige Überlassung an Gott.

 

Beten heißt nicht, Gott um verschiedene Lebensbedürfnisse bitten,

sondern Gott selbst erlangen, den Geber allen Lebens.

 

Beten ist nicht Bitten, sondern Einigung mit Gott.

 

Beten ist nicht eine Anstrengung, um von Gott die zum

Leben notwendigen Dinge zu erlangen. Beten ist ein Verlangen,

Gott selbst, den Urheber allen Lebens, zu haben.

 

Der wahre Sinn des Gebetes besteht nicht darin, um Segnungen zu bitten,

sondern den zu empfangen, welcher der Geber des Segens ist,

und ein Leben der Gemeinschaft mit ihm zu leben.

 

Die wahren Kinder Gottes sind nicht immer dabei, seine Gaben zu erflehen,

sondern sie wünschen, sich unter seinem Schutze, in seinen Armen zu fühlen.

 

 

(Damit es aber keine Mißverständnisse gibt: Bitten ist deshalb nicht verboten; das Beten und Bitten für andere, die in Not sind, erst recht nicht. Wer das, was Sundar Singh schrieb, mit einem offenen Herzen liest, wird ohnehin den Sinn dahinter nicht falsch verstehen.)

 

 

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Ich kannte in Indien einen Gottesmann, der sehr vorangeschritten war im geistlichen Leben. Ein Bettler war gewohnt, an jedem Morgen zu kommen, um von ihm ein Stück Brot zu erbitten und sogleich zu ge­hen, sobald er es erhalten hatte. Es begab sich nun, daß eines Tages der Mann des Gebets nichts hatte, um es dem Bettler zu geben. Er bat ihn, einen Augenblick zu bleiben und mit ihm zu plaudern, währenddes­sen er nach Brot schickte. Nach einer Stunde erfaßte der Bettler die Botschaft, die ihm der Mann ver­kün­dete, und begann zu beten; er war verwandelt.

Er erfuhr Gottes Gegenwart; er war erfüllt von Freude. „So oft“, rief er aus „bin ich gekommen, euch um Brot zu bitten, ohne zu denken, daß ihr etwas ganz anderes hattet, um es mir zu geben.“ „Das ist eure, nicht meine Schuld. Ihr kamt nur um Brot, und gingt, sobald ihr es erhalten hattet. Heute habt ihr Zeit ge­habt, bei mir zu bleiben, und ich habe mit euch reden können.“

Oft machen wir es genau so mit unserem Erlöser. Viele von uns wenden sich an den himmlischen Va­ter nur, um von ihm dieses oder jenes zu erbitten. Unser Heiland hat uns gelehrt zu sagen: „Dein Wille geschehe.“ Aber wir sagen im Gegenteil: „Mein Wille geschehe“, wenn auch nicht mit unseren Lippen, so doch in unseren Handlungen. Sobald wir etwas empfangen haben, fliehen wir weit weg von Gottes Gegenwart; und darum gibt uns Gott sehr oft nicht alles, was wir von ihm erbitten. Das heißt nicht, daß er uns nicht liebt, aber daß er wünscht, wir möchten in seiner Gegenwart bleiben.

Wenn wir wie dieser Bettler verstehen, zu den Füßen des Meisters zu bleiben und mit ihm zu reden, wird er sich uns selbst öffnen, und wir werden dann den Sinn des Gebetes verstehen. Wenn wir Gott selbst empfangen, fühlen wir seine Gegenwart in unseren Herzen und werden befriedigt. Wir brauchen dann nicht mehr um die Dinge zu bitten, deren wir bedürfen; sie werden uns gegeben, ohne daß wir dar­um bitten. [Das erinnert an das Wort, das wir in vielen Offenbarungen empfangen haben: Wer dem Ge­setz dient, dem dient das Gesetz.]

 

 

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Weil Sundar Singh sein Ziel des wahren Gebets in der heiligen Gottesgemeinschaft und nicht in der Er­füllung menschlicher Wünsche erblickt, darum weist er auch mit aller Entschiedenheit den Gedanken ei­ner Einwirkung des Menschen auf Gottes Willen, einer Umstimmung von Gottes Absichten ab. Das Ge­bet dient nicht dazu, Gott für den Menschen zu gewinnen. Durch das Gebet können wir Gottes Plä­ne nicht ändern. Aber der Mensch, welcher betet, wird verändert; er erfährt Gottes Willen und lernt sich ihm demütig unterwerfen.

 

 

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Es gibt Leute, die so beten, als ob wir den Plan Gottes ändern könnten. Diese Frage hat mich lange be­schäftigt. Ich habe eine Antwort in meiner eigenen Erfahrung erhalten. Wir können nicht Gottes Plan än­dern, aber im Gebet können wir seinen Plan in bezug auf uns erkennen. Wenn wir an einem ruhigen Orte beten, redet Gott zu unserer Seele in der Sprache des Herzens.

 

Da offenbart er uns seine Pläne, die unser Heil betreffen. Wenn Gottes Pläne uns offenbar werden, wün­schen wir nicht, daß er sie ändern möge, sondern wir wünschen, mit seinen Plänen übereinzustimmen. Wenn wir durch das Gebet Gottes Pläne verstehen, dann gibt er uns auch Kraft, daß wir im Einklang mit seinen Plänen leben. Es kann ja sein, daß diese Pläne Leiden, Not, Krankheit enthalten; aber in allem ist es für uns trostvoll, sagen zu dürfen: „Dein Wille geschehe.“ Gottes Pläne dienen unserem Besten und dem Besten unseres Nächsten.

 

 

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Denkt euch einen Baum voller Früchte; ihr müßtet dem Besitzer des Baumes die Früchte abkaufen oder darum bitten; jeden Tag müßtet ihr hingehen und euch etliche Früchte holen. Wenn aber der Baum euer Eigentum ist, gehören alle Früchte euch. Gleichermaßen ist es mit Gott. Wenn er euch zu eigen ist, sind alle Dinge im Himmel und auf Erden zu eigen, denn er ist euer Vater und euer Alles; sonst müßtet ihr hin­gehen und wie ein Bettler um allerhand Dinge bitten und wiederum bitten, wenn sie verbraucht sind. Des­halb bittet nicht um Gaben, sondern um den Geber der Gaben; nicht um das Leben, sondern um den Geber des Lebens. – Dann wird euch das Leben selbst zufallen und ebenso die zum Leben benötig­ten Dinge.

 

Auszug aus „Das Gebet“, herausgegeben von Friedrich Heiler