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Aus dem „Schatzkästlein meiner liebsten Erinnerungen“:

 

Mein schönstes Christfest war das erste Weihnachten nach Kriegsende 1945

 

 

 

 

Unser verträumtes Heimatdörfchen im Oberlausitzer Bergland hatte eigentlich nur 9OO Einwohner. Es war weithin als Sommerfrische und Luftkurort bekannt. Doch bei Kriegsende war es von Heimatvertrie­benen überschwemmt, und die Not war groß.

Ich war damals 17 Jahre und hatte gerade meine kaufmännische Lehre abgeschlossen. Aber leider war die Lehrfirma von den einmarschierenden Russen bzw. Polen vollkommen niedergebrannt worden, und wir Frauen putzten Ziegel für den später geplanten Wiederaufbau.

Der Winter nahte. Trotz aller Not war in meinem jungen Herzen Freude darüber, daß die Verdunkelung aufgehört hatte und wieder „Licht in der Nacht“ sein durfte!

Das erste Christfest nach Kriegsende stand bevor. Je näher es kam, desto mehr wurde meine Freude überschattet von mitfühlendem Schmerz, den Menschen durchlitten, die mir sehr lieb waren. Und das kam so ...

Die Volksschule in unserem Dörfchen war ein recht ansehnliches Gebäude. Im Erdgeschoß waren zwei Klassenräume. Darin wurde im Zweiklassensystem unterrichtet. Im ersten Stock befanden sich die Woh­nung der zwei Lehrer. Ein Hilfslehrer logierte in der Nähe.

Zu beiden Lehrerwohnungen gehörten zwei liebe Gärtchen, die das Gebäude umgaben. Besonders unser ältester Lehrer und seine Frau waren gemütvolle Gärtnerseelen. Oftmals gab er seiner Frau durch das of­fene Klassenfenster Ratschläge, den Gartenanbau betreffend. Ich fand das immer gemütlich. Sie hatten zwei Söhne.

In diese Idylle kamen jedoch schwere Schicksalsschläge, verursacht durch den unseligen Krieg. Der äl­teste Sohn (Student) wurde in Stalingrad vermißt. Der jüngere Sohn wurde noch kurz vor Kriegsende als Flakhelfer getötet.

Hinzu kam, daß dieser Lehrer – trotz seiner Vielbeliebtheit – abgesetzt wurde, obwohl er immer nur dem vorgeschriebenen Lehrplan gefolgt und nie ein politisch interessierter Mensch war. Beide durften noch solange im Schulhaus wohnen bleiben, bis das Geburtshaus der Frau in einem entfernteren Dorf vom Beschußschaden des Krieges bewohnbar gemacht werden konnte.

Meine Seele litt mit diesen vom Schicksal so schwer heimgesuchten Menschen, und ich wollte ihnen gern zu Weihnachten ein kleines Lichtlein in ihre schmerzbeladene Trostlosigkeit bringen.

So reifte in mir ein Plan, und ich weihte meine liebe Freundin Johanna ein. Auch sie war ganz begeis­tert.

Dann gingen wir ans Werk. Mein Vater sorgte für ein kleines Christbäumchen aus unserem Wald. Johan­nas Vater machte einen Holzständer dazu und aus Stearinresten kleine Kerzen. Zu kaufen gab es damals bei uns keine Kerzen. Als Kerzenhalter – denn die gab es ja auch nicht – verwendeten wir Drähte als Er­satz. Ein paar selbstgemachte Papiersterne und einige Nüsse von unserem Nußbaum dienten als Schmuck.

Zuletzt schrieb ich dann meinen Lieblingsspruch auf ein Kärtchen und hängte es an einen Zweig.

So kam der Heilige Abend. Nach der Christnachtfeier in der Kirche machten wir uns beide auf den Weg zum Schulhaus. Zu unserem Glück fanden wir die Schulhaustüre offen und zündeten unten im Hausflur die Kerzen an. Dann lief meine Freundin Johanna zu unserem Versteck hinter dem Kriegerdenkmal am Dorfplatz. Von dort konnten wir die Wohnzimmerfenster der Lehrerwohnung im 1. Stock sehen.

Ich aber ging leise mit unserem Christbäumchen ins Obergeschoß und stellte es mit den brennenden Kerzlein vor die Wohnungstür ... läutete kurz ... und rannte davon, hin zu unserem Versteck.

Dann erlebten wir die große Freude!

Unser Lehrer kam mit dem Lichterbäumchen ins Wohnzimmer, stellte es auf das Klavier neben dem Fester und begann, Weihnachtslieder zu spielen. Nie werde ich das vergessen!

Es heißt: „Die Freude, wir wir schenken, kehrt ins eigene Herz zurück.“ Und das wurde wahr.

Vier Jahre später, kurz bevor die DDR gegründet wurde, bin ich dann in den Westen gegangen. Aber im­mer habe ich den Kontakt zu diesen beiden lieben Menschen gehalten.

Als ich dann 1957 ein Besuchervisum für die DDR bekam, habe ich sie besucht ... und wir kamen auf den Heiligen Abend zu sprechen. Da sagte mir unser Lehrer: „Nachdem ich den Spruch gelesen hatte, der an dem Weihnachtsbäumchen hing, wußte ich wohl, wer das liebe Christkind war ...“, und sagte den Spruch aus der Erinnerung auf:

 

Mußt nicht verzagen, nicht traurig sein,

nicht mutlos klagen, mußt fröhlich sein,

tapfer dem Schweren ins Auge seh‘n,

freudigen Herzens im Leben steh‘n!

Nur nicht verzagen! Glaub‘ an das Licht,

dann zwingt dich das Dunkel der Stunde nicht!

 

Und heute, mit fast 89 Jahren, ist dieses Weihnachten für mich das „innigste Fest im Schatzkästlein“ meiner Erinnerungen.

 

 

G. A., im Dezember 2016