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Vielleicht muß man den folgenden Text zweimal lesen, denn der Sinn, der in dieser nicht unbedingt alltäglichen Sprache verpackt ist, er­schließt sich möglicherweise nicht sofort. Man kann es aber auch – in Anlehnung an die Kurzfor­mel „liebe – und sonst nichts“ – auf den einfachen Nenner bringen: „Die Innere Arbeit“, das eigentliche Herz­stück unseres menschlichen Daseins und Stre­bens, unseres Weges zu­rück zu Gott, „fin­det im Alltag statt.“

 

 

 

 

 

DER ALLTAG ALS ÜBUNG

 

 

Jede Arbeit, jede Kunst und jeder Beruf bedarf, damit das Werk gelinge, der Übung. Das weiß jeder, und, um sich in der Welt zu bewähren, lernt er, übt sich und verarbeitet seine Erfahrungen. Daß dies aber auch die Voraus­setzung für das Gelingen des wichtigsten aller dem Menschen aufgegebe­nen Werke ist, ist weitgehend unbekannt geblieben.

Wie alles, was lebt, dazu bestimmt ist, sich voll zu sich selbst zu entfalten, so auch der Mensch. Der Mensch aber wird, was er sein soll, nicht von selbst. Er wird es nur, wenn er sich selbst in die Hand nimmt, an sich ar­beitet und sich zur Vollendung des Werkes ohne Unterlaß übt. Das wich­tigste Werk seines Lebens also ist er selbst, ER SELBST als der „rechte Mensch“.

Lernen, Üben, Sammeln und Verarbeiten von Erfahrungen, was bedeutet das im Dienst des Werkes, das man selbst ist? Was heißt hier gelungenes Werk? Was kann man, was soll man hierzu lernen? Welche Erfahrungen gilt es ernst zu nehmen und zu verarbeiten? Worin besteht die Übung? Was sind die Voraussetzungen des Gelingens?

Die Voraussetzungen für das Gelingen jeglichen Werkes in der Welt sind: eine dienende, von der Sache erfüllte Gesinnung, zäher Wille, Entfaltung sachdienlicher Fähigkeiten, Gewinnung zuverlässiger Fertigkeiten, eine gediegene Leistungskraft, das Verarbeiten der Arbeitserfahrungen und im ganzen eine ungestörte Angepaßtheit an die Welt*). Am Ende steht dann das Können, das das Gelingen des Werks garantiert.

Das Gelingen des inneren Werkes ist die Frucht menschlicher Reife. Die Voraussetzungen des Reifens sind: Der Abbau des kleinen, nur weltbezo­genen, schmerzscheuen Ichs, das Spüren und Zulassen und die Entfaltung des eingeborenen, transzendenten Wesens, das Einschmelzen der es ver­stellenden Positionen und Einstellungen, das Ernstnehmen und Verarbeiten der zu seinem Innewerden hinführenden und es bekundenden Erfahrungen, die Gewinnung zuverlässiger Haltungen, die dem Wesen entsprechen und in allem die Treue im Fortschreiten auf dem inneren Weg. Am Ende steht dann eine Meisterschaft nach innen. Das ist eine Verfassung des ganzen Menschen, die das nie endende Reifen in Gang hält. In dieser Verfassung erst erfüllt der Mensch sein Gesetz und seine Bestimmung: eine Person zu werden; das ist ein Mensch, der durchlässig ist für das in ihm als Wesen anwesende Sein und fähig, ihm im weltlichen Dasein zu entsprechen. So geht es beim inneren Werk am Ende nicht um ein auf die Welt bezogenes Können, sondern um die Verwandlungen zu einem dem SEIN entsprechen­den menschlichen Sein.

Wo das innere Werk gelingt, kann und hat der Mensch nichts anderes und mehr als vorher, aber er ist anders und mehr geworden. Er ist ein anderer geworden. So steht dem weithin sichtbaren Werk der Welt gegenüber – vielleicht niemandem sichtbar – der nach innen hin verwandelte Mensch. Aber beides hängt eng miteinander zusammen. Das wirklich gültige Werk der Welt setzt menschliche Reife voraus, und die zur Reife führende Ver­wandlung des Menschen die Mühe um das in der Welt aufgegebene Werk. So schließen sich innerer Weg und äußeres Werk nicht aus, sondern sie be­dingen einander. Und da wir von früh bis nachts gefordert sind, sowohl von unserem inneren Wesen wie von der uns bedrohenden und in unsere Verantwortung gegebenen Welt, ist das Feld eines nie endenden Bemü­hens, beide Seiten miteinander zu versöhnen: Der Alltag!

 

 

Karlfried Graf Dürckheim (1896 – 1988)

in „Der Alltag als Übung“

 

*) was immer er darunter auch verstehen mag